Von jeder Wohnung aus hat man den Blick auf eine Freifläche, die zu dem Lebensstil seiner Bewohner passt. Keine Wohnung ist wie die andere, denn in „De Hogeweyk“ gibt es sieben vordefinierte „Lebensstile“, nach denen die Wohnungen eingerichtet sind. Die Patienten werden bei ihrer Anmeldung einem der Lebensstile zugeordnet. Dafür füllen ihre engsten Angehörigen bei der Anmeldung ein Online-Formular mit 44 Fragen über ihre Gewohnheiten und Vorlieben aus. Die Marktforschungsagentur „Motivaction“ hat dieses Lebensstilmodell entwickelt. Niemand passt dabei nur in einen Stil, sondern es gibt Mischformen. „Aber am Ende finden wir immer den Stil, der zu jemandem am besten passt, und nur wenige Male haben wir jemanden in eine andere Wohngruppe versetzt, damit er sich wohl fühlte.“ Die Erkenntnis ist: Wenn ältere Menschen mit ähnlichen Interessen und Eigenschaften zusammenleben, gibt es weniger Streit. Wenn sie ihren alten Gewohnheiten folgen können, sind sie weniger ängstlich und verwirrt. Wenn sie ihren Bewegungsdrang ausleben können, bleiben sie länger körperlich fit. Die praktische Folge ist: Der Konsum an Medikamenten und Psychopharmaka sinkt.
Sieben Lebensstile
Im „handwerklichen“ Stil von „De Hogeweyk“ leben überwiegend Männer, es gibt deftiges Essen und vor dem Eingang des Hauses stehen ein Hasenstall und eine Werkbank, die auch benutzt wird. Man steht recht früh auf und isst zeitig zu Abend, gern mit einem Bier. Ähnlich (aber weiblicher) ist der „häusliche“ Lebensstil, mit gehäkelten Tischdeckchen, gemütlichen Ohrensesseln und gedrechselten Möbeln aus Eiche. Der „urbane“ Lebensstil ist darauf angelegt, gute Kontakte mit der Nachbarschaft zu pflegen: Hier öffnen sich die Haustüren auf einen kleinen Platz voller Bänke. Der „indonesische“ Lebensstil zeichnet sich dadurch aus, dass schon morgens Reis gekocht wird und die Wohnküche das Zentrum des Hauses ist. Zur Dekoration des Hauses gehören bunte Stoffe und exotische Pflanzen. Auch ist es hier zwei Grad wärmer, weil die Bewohner gern barfuß laufen. In den Wohnungen des „gehobenen“ Stils ist die Küche hinter einer halbhohen Trennwand verborgen. Die Pflegekräfte, die keine weißen Kittel tragen, werden trotzdem „Mädchen“ genannt, als seien sie Bedienstete. Es hängen Kronleuchter unter der Decke, man blickt auf gestreifte Seidentapeten, benutzt gestärkte weiße Tischdecken, geht häufiger essen, steht später auf. Am Nachmittag wird der High Tea serviert. Gegen einen Aufpreis bekommen die Bewohner täglich frische Blumen. Der „christliche Lebensstil“ ist dadurch gekennzeichnet, dass die Bewohner gemeinsam beten und geistliche Musik hören. Einmal in der Woche kommt ein Pastor, der im Theatersaal predigt – dazu sind alle Bewohner eingeladen. Der „kulturelle“ Lebensstil zeichnet sich aus durch moderne Kunst an den Wänden, Regale mit Büchern, ein Zeitungsabonnement und ein Glas Wein am Abend.
Die Einteilung in Lebensstilgruppen hat der Leitung von „De Hogeweyk“ den Vorwurf eingetragen, zwischen Arm und Reich zu trennen – doch der Aufenthalt ist für alle gleich teuer, von kleinen zubuchbaren Extras abgesehen. Die staatliche Sozialversicherung zahlt 5250 Euro im Monat für jeden Patienten, bei dem eine schwerwiegende Form der Demenz diagnostiziert wird – andere werden in „De Hogeweyk“ nicht aufgenommen. Die Erfahrungen mit dem „Lebensstil“-Konzept sind gut, und die Menschen leben sogar länger: Das durchschnittliche Alter beim Einzug in „De Hogeweyk“ liegt bei 83 Jahren. Nach durchschnittlich 3,4 Jahren (das ist ein halbes Jahr länger als in den meisten niederländischen Altenheimen), sterben die Patienten. Auch palliativmedizinische Versorgung ist möglich; den Umzug in ein Krankenhaus will man den alten Menschen ersparen.
Nachahmer aus Deutschland
“Die Herausforderung der kommenden Jahre ist, dass wir mehr demente alte Menschen haben werden, und dass ihre Lebensstile sich weiter individualisieren“, sagt Jannette Spiering. In Deutschland leben bereits heute etwa 1,3 Millionen Demenzkranke, und bis zum Jahr 2050 wird sich diese Zahl vermutlich verdoppelt haben. Kein Wunder, dass das Interesse an „De Hogeweyk“ groß ist. Im rheinland-pfälzischen Alzey hat sich bereits ein Investor ein kommunales Grundstück reserviert, um eine ähnliche Anlage zu errichten. Auch das Deutsche Rote Kreuz, Kreisverband Düsseldorf, hat Interesse. Selbst eine Delegation des Bundestages war bereist zu Gast in Weesp. In Deutschland ist durch das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz seit Januar 2013 die Förderung von Wohngruppen für Demenzkranke besser geworden. Mit Zuschüssen von etwa 2000 Euro pro Monat aus der Pflegeversicherung rechnen die Investoren in Alzey. Damit müssen sie allerdings auch die Baukosten finanzieren. In „De Hoogeweyk“ betrugen sie 19 Millionen Euro; 17 Millionen zahlte der Staat. Zwei Millionen Euro für die großzügigen Gemeinschaftseinrichtungen kamen durch Sponsoren zusammen.
Weil die beschauliche Parallelwelt von „De Hogeweyk“ so wenig nach Krankheit aussieht, könnte man meinen, dass die Angehörigen vielleicht häufiger zu Besuch kommen als in einem Pflegeheim alten Stils. Da winkt Jannette Spiering traurig ab: „Manche denken auch, dass sie sich nun weniger kümmern müssen, weil sie ihre Angehörige hier gut aufgehoben wissen.“ Um eine Brücke in die Vergangenheit zu schlagen, bittet sie alle Angehörigen um ein „Lebensbuch“ mit Fotos des Patienten und seiner Familie. Neuerdings können die Angehörigen auch die Lieblingsmusik des Bewohners auf einen iPod spielen. Aber nur weniger als die Hälfte der Angehörigen macht sich diese Mühe. Und sogar die Besuchshäufigkeit ist schichtspezifisch: Die einfachen Leute bekommen mehr Besuch als die in den „gehobenen“ Lebensstilen.